Zu den Hauptinhalten springen

Düsseldorf, 17. Januar 2025

Wahlkampf: Das Buhlen beginnt

Gut fünf Wochen vor der Bundestagswahl hat die heiße Phase des Wahlkampfs begonnen. Mithilfe namhafter Agenturen werben Kandidaten und Parteien Aufmerksamkeit. Weil die Neuwahlen von September auf Februar vorgezogen wurden, ist diesmal jedoch vieles anders.

Na, haben Sie die Wesselmänner schon gesehen? So nennen Wahlkämpfer die fast drei mal vier Meter großen Plakatwände aus Stahlrohr und Sperrholz, die allerorts aufgestellt und mit den wichtigsten Köpfen und Kernbotschaften beklebt werden. Frühestens sieben Wochen vor der Wahl dürfen sie platziert werden. Seit dem 5. Dezember füllen sich also nach und nach Randstreifen, Grünflächen und Co. mit den Parteibotschaften.  „Wieder nach vorne“, ruft uns Friedrich Merz zu, „Mehr für dich – besser für Deutschland“, kontert Olaf Scholz. Die Grünen versprechen mit Robert Habeck „Ein Mensch, ein Wort“. Die FDP proklamiert „Alles lässt sich ändern“ und die AfD findet, es sei „Zeit für Deutschland“.

All diese Slogans sind die Ergebnisse professioneller Marketingarbeit. Denn für Werbung und Kommunikation haben fast alle Parteien renommierte Agenturen engagiert. Das war auch schon in vorherigen Wahlkämpfen so. Und doch ist im Winter 2024/25 vieles anders. Nachdem die Ampel-Regierung zerbrochen und Olaf Scholz die Abstimmung zur Vertrauensfrage verloren hat, müssen die Deutschen schon am 23. Februar ihre neue Regierung wählen – und nicht wie ursprünglich terminiert erst am 28. September. Das heißt, wofür sonst Monate Zeit gewesen wäre, musste nun innerhalb weniger Wochen passieren: Strategien entwerfen, Slogans texten, Plakate gestalten. Zum Teil haben die Parteien schon im November Fototermine für ihre Kandidaten in den Wahlkreisen organisiert, haben Druckereien angefragt und Plätze für Wahlwerbung gebucht. Denn gedruckte Plakate sind nach Aussage der Parteien nach wie vor das wichtigste Werbemittel. Mit ihnen erreichen sie am sichersten die größte Wählergruppe. 2021 waren mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler (58 Prozent) älter als 50 Jahre. Nur 14 Prozent waren jünger als 30 Jahre.

Wahlkampf 2025: Kürzer und kälter

In diesen Wochen im Januar und Februar wirken die Konterfeis an Wänden, Ständern und Laternenmasten jedoch anders. Der Wahlkampf findet nicht im Spätsommer wie sonst, sondern im Winter statt. Die Tage sind kürzer, die Dunkelheit setzt eher ein und die Menschen halten sich schlicht weniger im Freien auf. Weil sie deshalb nur zum Teil auf Erfahrungen aus der Vergangenheit zurückgreifen können, ist der Druck für die Agenturen jetzt ungleich größer. Hinzu kommt, dass die politische Debatte intensiv werden dürfte. Mit Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck und Alice Weidel bewerben sich offiziell gleich vier Personen um das Kanzleramt. Und die Haltung der Deutschen zu ihnen und ihren Parteien ist so gespalten wie nie zuvor.

Spontanität und Social-Media werden wichtiger

Beides – Wetter und Wettbewerb – spricht dafür, dass wir den digitalsten Bundestagswahlkampf der Geschichte erleben werden. Die SPD vertraut dabei auf die Agentur Brinkert-Lück. Deren Gründer Raphael Brinkert hatte Olaf Scholz bekanntlich schon 2021 den Weg ins Kanzleramt geebnet – aus einer ähnlichen Ausgangssituation wie heute. Auch vor vier Jahren lagen die Sozialdemokraten weit hinter der Union. Am Wahlabend holten sie 25,7 Prozent der Stimmen. Auch dank eines Personenwahlkampfs, der Olaf Scholz als Macher-Typ verkauft hat, der sich für die Bürger einsetzen würde. Diesen Trumpf kann Brinkert wegen des angekratzten Images des Kanzlers 2025 nicht noch einmal ausspielen. Stattdessen stellt die SPD-Kampagne das Parteiprogramm in den Vordergrund – garniert mit gezielt gesetzten Spitzen gegen die Konkurrenz. Als Olaf Scholz in einem ZDF-Interview etwa sagte, „Fritze Merz erzählt gern Tünkram“ und sich die CDU über diese Attacke echauffierte, verbreitete Brinkert-Lück sofort über Social-Media eine rote Kachel mit der Aufschrift „Weniger Tünkram. Mehr Programm. Unser Programm zum Download.“ Die Anekdote zeigt: Weil die Zeit so knapp ist, werden Spontanität und Kreativität umso wichtiger.

Die CDU wiederum hat für ihren Wahlkampf die Agentur Fischer Appelt engagiert, die alle Hände voll zu tun hat, den Kanzlerkandidaten Merz gegen die Attacken seiner Konkurrenten zu verteidigen und den Vorsprung in den Umfragen zu bewahren. Anders als die SPD stellt die Union ihren Kandidaten bewusst in den Vordergrund. Er ist das Gesicht, das Deutschland „Wieder nach vorne“ bringen soll und freundlich von einem übergroßen Banner an der Fassade des Konrad-Adenauer-Hauses herablächelt. Die Parteizentrale wurde kurzerhand in „Haus des Politikwechsels" umbenannt.

So viel Selbstbewusstsein trauen sich die Grünen und ihre Agentur Jung von Matt nicht zu. Für sie geht es, ähnlich wie für die SPD, eher darum den Kandidaten Robert Habeck nach dem missglückten Heizungsgesetz, das ihm immer noch nachhängt, wieder in ein gutes Licht zu rücken. Und so versuchen es die Grünen eher mit leisen Tönen und Nahbarkeit, in Szene gesetzt mit Habecks „Küchentischgesprächen“, die vor allem via Social-Media verbreitet werden.

Wer trifft den Ton am besten?

Es ist ein Spagat. In der Vergangenheit mussten sich die etablierten Parteien immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die digitalen Medien zu sehr der AfD überlassen hätten. Allerdings stehen Sozial- und Christdemokraten, Liberale, Grüne und Linke auf Social-Media in einem kaum zu lösenden Dilemma. Dort funktioniert besonders gut, was laut ist und polarisiert. Genau das stellt die AfD regelmäßig unter Beweis. Lassen sich die anderen Parteien jedoch auf dieses Niveau ein, verlieren sie an Seriosität.

Im bisherigen Wahlkampf kommen aber auch von der Alternative für Deutschland andere Töne. Ihre Agentur Republic Relations aus Leipzig hat Zeilen erdacht, die sowohl Stammwähler ansprechen soll als auch jene, die noch schwanken. Reizwörter wie „Remigration“ oder „Dexit“ tauchen in ihrer Kampagne bewusst nicht auf. Stattdessen wir der Hauptclaim „Zeit für Deutschland" abgewandelt in Kombinationen wie „Zeit für sichere Grenzen“, „Zeit für deutsche Interessen“ oder auch „Zeit für bezahlbare Energie“.

Bleiben noch FDP, BSW und die Linke. Die drei kleineren Parteien stellen keine explizit benannten Kanzlerkandidaten, setzen im Wettrennen über die Fünf-Prozent-Hürde aber ebenfalls stark auf ihre Spitzenkandidaten. Die FDP wird dabei von der Agentur HeimatTBWA unterstützt. Die Düsseldorfer sind seit 2013 ein vertrauter Partner. Nachdem es die Partei 2013 nicht in den Bundestag geschafft hatte, entwickelte TBWA ein neues Image für die FDP. Aus den Liberalen wurden die „Freien Demokraten“, dem bekannten Gelb stand seitdem Magenta zur Seite. Im aktuellen Wahlkampf wird die Zweitfarbe allerdings sparsamer eingesetzt. Der Hauptslogan „Alles lässt sich ändern“ und die dazugehörigen Kernbotschaften zu Aufbruch, Erneuerung werden prägnant in schwarz auf gelb gehalten – manche sehen darin schon einen subtilen Hinweis auf die gewünschte Regierungskoalition.  

Diesbezüglich macht sich die Linke keine Illusion. Nach dem Wechsel zahlreicher Mitglieder zum Bündnis Sarah Wagenknecht wäre für sie schon der Wiedereinzug in den Bundestag ein großer Erfolg. Für dieses Vorhaben hat die Linke die Agentur Berliner Botschaft engagiert, laut eigener Aussage eine der Top-Agenturen für gemeinnützige und öffentliche Auftraggeber wie etwa Verbände und NGOs gehört. Botschaften wie „Damit die Miete nicht das Leben auffrisst“, „Damit der Einkauf nicht mehr weh tut“ oder „Rente und Krankenkasse – solidarisch für alle“  sprechen ganz gezielt die Stammklientel an – in der Hoffnung, dass es mit diesen Inhalten gelingt, sich vom BSW abzugrenzen.

Denn die Wagenknecht Partei und ihr Agenturdienstleister Iconemy ruft den Bürgerinnen und Bürger ähnliche Wahlversprechen zu – allerdings anders verpackt. „Zweitstimme ist Sarah-Stimme“ steht unter jedem Motiv. Auch wenn die Partei bereits bekannt gegeben hat, dass sie sich nach der Wahl umbenennen möchte, will sie die Prominenz ihrer Gründerin jetzt noch voll ausnutzen. Ob diese Strategie, wie auch die Konzepte der anderen Parteien, aufgeht, wissen wir am 23. Februar. Eine Analyse nach der Wahl, dürfte auf jeden Fall genauso spannend sein, wie diese Vorschau auf die heiße Wahlkampfzeit.

 

Wie schätzen Expert*innen die aktuelle Stimmung in der Marketingbranche ein?

Unser BVMC-ifo Marketing-Barometer gibt Auskunft.