Düsseldorf, 8. November 2024
Großkonzerne bauen Jobs ab, die KI übernimmt Tätigkeiten
– und in der Rezession sind weniger Arbeitskräfte gefragt.
Stimmt alles, ändert aber nichts daran, dass die deutsche Wirtschaft nach wie vor auf Fachkräfte angewiesen ist – und viel zu wenige hat.
Diese Studie macht Mut: Gleich zwölf deutsche Unternehmen haben es im aktuellen Ranking der Worlds Most Attractive Employers unter die Top 75 geschafft. Kein anderes Land außer den Vereinigten Staaten (37 Unternehmen) ist öfter im Ranking vertreten.
Für die im September erschienene Studie der zur The Stepstone Group gehörenden internationalen Employer-Branding-Beratung Universum wurden 144.000 Studierende aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwesen und IT in den neun größten Volkswirtschaften der Welt befragt.
Die Studierenden verbinden Deutschland vor allem mit fortschrittlichen Technologien und einer soliden Work-Life-Balance. Arbeitsplatzsicherheit ist ein weiterer genannter Faktor.
Balance aus Sicherheit und Innovationskraft
Auch internationale Studierende – und damit potenzielle Arbeitskräfte – schätzen die Balance aus Sicherheit und Innovationskraft. David Falzon, Country Manager Deutschland bei Universum sagte dazu gegenüber onlinemarketing.de: „In wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist das noch bedeutsamer, wenn Unternehmen die Mitarbeiterbindung und Arbeitsplatzsicherheit priorisieren und gleichzeitig einen innovationsorientierten Arbeitsplatz fördern. Internationale Studierende und damit künftige Fachkräfte finden deutsche Arbeitgeber attraktiv. Das sind großartige Nachrichten für den deutschen Arbeitsmarkt und Wirtschaft.“
Ist also alles in Butter am Arbeitsstandort Deutschland? Mit Nichten!
Deutschland gilt laut einer Studie von OECD und Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2023 als nur mäßig attraktiv für Arbeitsmigranten. Bei Hochqualifizierten seit 2019 sogar mit absteigender Tendenz. Als Gründe nennt die Studie Sprachbarrieren im Vergleich zu englisch- oder spanischsprachigen Ländern, die Steuerbelastung sowie die Qualität der beruflichen Chancen für Zuwanderer. "Deutschland strahlt viel Bürokratie und wenig Willkommenskultur aus", sagte der Arbeitsmarktexperte und Ökonom Holger Bonin dazu gegenüber „Zeit online“.
Fachkräftemangel bremst Wachstum aus
Der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften ist enorm. Trotz der aktuellen Rezession und der Ankündigung mancher Großkonzerne, Arbeitsplätze abzubauen, listet die Bundesagentur für Arbeit derzeit mehr als 180 sogenannte Engpassberufe auf, in denen Fachkräfte fehlen. 1,8 Millionen Stellen sind unbesetzt. Der Fachkräftemangel ist längst zur Wachstumsbremse für die deutsche Wirtschaft geworden. Dabei liegt die Zahl der Erwerbstätigen bereits auf einem Rekordwert von knapp 46 Millionen (Jahresdurchschnitt 2023). Sie ist seit 1991, mit Ausnahme einer Corona-Delle, kontinuierlich angestiegen. Allerdings nicht stark genug, um die Probleme der Arbeitgeber zu lösen.
Mehr als jedes dritte Unternehmen sieht seine Geschäftstätigkeit durch den Mangel an geeignetem Personal behindert, geht aus dem jüngsten „Fachkräftebarometer“ von KfW und Ifo-Institut hervor. Sollte die Konjunktur im nächsten Jahr wieder anspringen, verstärke sich unmittelbar auch der Mangel an Fachkräften. Mit welchen kreativen Maßnahmen sich Arbeitgeber aus der Agenturbranche um neues Personal bemühen, hat die absatzwirtschaft im Frühjahr in diesem Beitrag genauer beleuchtet.
Wie schätzen Expert*innen die aktuelle Stimmung in der Marketingbranche ein?
Unser BVMC-ifo Marketing-Barometer gibt Auskunft.
Die Situation wird zusätzlich dadurch verschärft, dass zahlreiche Beschäftigte aus den geburtenstarken Jahrgängen (Stichwort: Babyboomer) in den kommenden Jahren in Rente gehen. Allein um diese Lücke zu schließen, würden laut Arbeitsmarkt-Experten bis zum Jahr 2035 sieben Millionen Fachkräfte in Deutschland zusätzlich gebraucht.
Schwierige Anwerbung ausländischer Fachkräfte
Werbung für den Arbeitsstandort Deutschland und im Idealfall Anwerbung von Fachpersonal machen die deutschen Politiker*innen von der Ministerpräsidentin bis zum Bundespräsidenten regelmäßig bei ihren Auslandsbesuchen. Der Erfolg hält sich allerdings in Grenzen. Es kommen jährlich nur ein Bruchteil der Menschen, die benötigt werden. Auch das 2020 eingeführte und im vergangenen Jahr reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat sich bisher nicht als Allheilmittel erwiesen.
Für Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, sind nicht die Arbeitsmöglichkeiten das größte Hindernis, „sondern die schlechte Willkommenskultur und die hohen Hürden, sich in Deutschland zu Hause zu fühlen“. Dazu gehören etwa soziale Kontakte, bürokratische Hürden und die Wohnsituation, wie der Ökonom mit Verweis auf eine Studie des Netzwerk InterNations sagt. Deshalb würden so viele gut qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland entweder erst gar nicht nach Deutschland kommen oder das Land bald wieder verlassen.
Deutschland: Traumziel für Studierende aus dem Ausland
Eine Maßnahme allein wird also nicht zur Lösung der Probleme führen. Mit welchen Schritten Politik und Wirtschaft den Fachkräftemangel zumindest lindern können, hat KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib so zusammengefasst: „Mit Anreizen für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren, mit der Anwerbung und Integration qualifizierter Zuwandernder, bedarfsgerechter Qualifizierung und Umschulung von Arbeitnehmern sowie Maßnahmen zur Steigerung der einzel- und gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, zum Beispiel durch eine stärkere Digitalisierung.“
Zumindest in einem Bereich sieht die Bertelsmann-Studie die Bundesrepublik als internationales Vorbild: bei den Beliebtheitswerten unter ausländischen Studierenden. Hier belegt Deutschland einen Spitzenplatz direkt hinter den USA und noch vor Ländern wie Großbritannien, Norwegen oder Australien. Ausschlaggebend dafür seien exzellente Universitäten, geringere Kosten für das Studium sowie gute Arbeits- und Bleibemöglichkeiten während und nach dem Studium. Darauf lässt sich doch aufbauen.
Einen positiven Beitrag, den Arbeitsstandort Deutschland zu stärken, soll auch die neue Marke-Deutschland-Kampagne vom Bundesverband Marketing Clubs (BVMC) leisten. “Marke Deutschland” versteht sich dabei als neues Qualitäts- und Innovationssiegel, das nicht nur den Produktionsstandort kennzeichnet (“Made in Germany”), sondern auch die Innovationskraft – die Kraft der Idee – einschließt.