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Düsseldorf, 30. August 2024

Positionen beziehen im Superwahljahr

Warum Demokratie ein Thema für das Marketing ist

Purpose becomes Mainstream: Im Superwahljahr 2024 setzen sich viele Unternehmen mit Kampagnen und Initiativen für Demokratie ein und werben für Werte wie Toleranz, Weltoffenheit und Gemeinschaft. Doch Haltung zeigen ist nur der erste Schritt.

In diesem Superwahljahr – die Europawahlen liegen hinter uns, drei Landtagswahlen stehen an und die US-Präsidentschaftswahl im November ist bereits allgegenwärtig – herrscht kein Mangel an politischen Appellen. Das gilt mittlerweile auch für Unternehmen. Es gibt diverse Haltungskampagnen, mal gehen einzelne Konzerne damit an die Öffentlichkeit, mal schließen sich viele zu gemeinsamen Initiativen zusammen, mal beteiligen sie sich an Aktionen, die von Institutionen wie den Kirchen, Gewerkschaften, Medien oder Kultureinrichtungen ins Leben gerufen werden.

Die Adressaten sind die Politik (Tenor: „Reißt euch mal zusammen!“), die Bürger („Geht wählen!“) und die Zivilgesellschaft als Ganzes („Verbinden statt Trennen; andere Meinungen respektieren“). Die Absender beziehen Stellung, treten für Werte wie Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit ein und grenzen sich von extremen Tendenzen ab („Gegen Fake News, Angstmacherei und Spaltung“).

BVMC-Präsident Montanini: Es geht erst um Haltung, dann um Verhalten

Die Unternehmen zeigen damit vordergründig, wofür sie stehen und eintreten. Dies sei jedoch nur der erste Schritt, erläutert BVMC-Präsident Claudio Montanini: „Es geht zunächst um Haltung, dann um Verhalten. Wenn ein Unternehmen weiß, wofür es steht oder was es ablehnt, kann daraus eine professionelle Kommunikation abgeleitet werden.“ Kund*innen würden fordern, dass eine Marke authentisch und glaubwürdig wirkt und dies auch honorieren. Wer hier nicht mitspiele, riskiert Montanini zufolge Marktanteile. Bei dieser Art von Haltungskommunikation müsse nicht nur der Inhalt stimmen, sondern auch der richtige Ton getroffen werden: „Extreme Haltungen, Belehrungen oder Maßregelungen verfehlen hingegen ihr Ziel. Die goldene Mitte ist der Weg“, so der Kommunikationsexperte.

Ein Vorreiter in Sachen gelungener Haltungskommunikation ist die Telekom mit ihrer 2020 gestarteten und vielfach ausgezeichneten „Gegen Hass im Netz“-Kampagne. Kürzlich ist der neue, mittlerweile achte Spot in der Reihe erschienen, der das Thema Desinformation ins Zentrum stellt. „Desinformation kann Hass verstärken, indem sie Vorurteile schürt und Feindseligkeiten anheizt. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft sich dadurch spaltet“, sagt Telekom-Markenchef Christian Hahn. Der aktuelle Kampagnenzeitraum von Mitte August bis Mitte November decke bewusst die Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern sowie die US-Wahlen ab. „Es gibt Menschen, die wollen die Demokratie schwächen. Wir treten dem entgegen und machen mehr als nur zu sagen ‚geht wählen‘“, so Hahn.

Politik bleibt hinter den Erwartungen zurück

Die Polarisierung in der Gesellschaft wird durch Hass und Hetze in den sozialen Medien befeuert, darauf weist die Telekom-Kampagne zurecht hin. Die Ursachen liegen aber auch bei der Politik selbst und ihrer verbesserungswürdigen Kommunikation, ist BVMC-Präsident Montanini überzeugt: „Die meisten Politiker*innen bleiben in der Politikvermittlung massiv hinter den Erwartungen der Stakeholder zurück. Ganz zu schweigen davon, dass in der Regel kein Storytelling stattfindet, sondern Statements nach Opportunität abgefeuert werden.“ Es brauche neben mehr Mut zur Ehrlichkeit auch mehr Professionalität in der Kommunikation. Entscheidend seien dann allerdings die Inhalte: „Wenn sie nicht stimmen, gewinnt selbst das beste Marketing keine Wahlen.“

Mit seiner neuen Initiative „Marke Deutschland“ will der Bundesverband Marketing Clubs den Innovationsstandort Deutschland stärken. Dabei sei ebenfalls Haltung gefragt, sagt Montanini: „Eine moderne Gesellschaft und Marktwirtschaft braucht Werte als Grundlage für Innovationskraft und Leistungsbereitschaft. Es geht um die Frage, wie kreieren wir in Deutschland ein positives Mindset für ein grundsätzlich neues Denken.“

Von Pessimismus hält der Verbandspräsident zwar grundsätzlich nichts, dennoch nimmt auch er wachsende Sorgen in der Wirtschaft wahr. Der Standort Deutschland würde an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn sich die politischen Verhältnisse in Richtung Extreme verschieben. Deutlich vor den Folgen eines Aufstiegs der AfD haben zuletzt renommierte Ökonomen und große Wirtschaftsverbände gewarnt. Auch viele Unternehmen positionieren sich, formulieren Brandbriefe und richten Appelle an die Politik.

Deutsche Bahn & Co. für Positionierung gegen Rechtextremismus ausgezeichnet

Die Unternehmen sind aber auch selbst aktiv. Manchmal werden sie dafür sogar ausgezeichnet, wie die Deutsche Bahn Ende Mai dieses Jahres: Seit 2016 vergeben die Deutsche Public Relations Gesellschaft und der auf Medienbeobachtung spezialisierten Unternehmensberatung Unicepta den „Thought Leadership Award“ für kommunikative Spitzenleistungen. In den Anfangsjahren ging es dabei um die Meinungsführerschaft zum Thema Digitalisierung, danach folgten Nachhaltigkeitsthemen und schließlich eine Mischung aus beidem ergänzt durch New Work, Diversität und Zukunftsfähigkeit.

In diesem Jahr stand dagegen nur ein einziges Thema im Fokus: Positionierung gegen Rechtsextremismus.

Der Report zum Award zeigt eine Vielzahl von positiven Beispielen für Konzerne und Top-Manager, die klar Stellung beziehen und sich deutlich von „rechts“ abgrenzen. Gemeinsam mit der Deutschen Bahn werden Unternehmen wie Volkswagen (CEO Oliver Blume), Evonik (CEO Christian Kullmann), Würth (Unternehmer Reinhold Würth) und die Deutsche Bank (CEO Christian Sewing) lobend hervorgehoben. Sie mögen in dieser Analyse am besten abgeschlossen haben, eine Ausnahme oder gar Randerscheinung sind sie mit ihrem Engagement und ihren politischen Stellungnahmen im Jahr 2024 allerdings nicht.

Arbeitsplatz als Ort, an dem gesellschaftliche Brücken gebaut werden

Hinter dem Engagement der Konzerne stehen auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Sie müssen als Marke attraktiv sein für ihre Kund*innen, als Unternehmen für ihre Geldgeber und Geschäftspartner und nicht zuletzt auch als Arbeitgeber für bestehende und potenzielle neue Mitarbeiter*innen. Die Beschäftigten decken in aller Regel auch ein breites Meinungsspektrum ab.

Welchen Spagat Unternehmen damit auch intern zu bewältigen haben, hat Constanze Osei, Director for Corporate Innovation, DE&I and Culture bei Telefónica Deutschland, im Interview mit der absatzwirtschaft einmal so formuliert: „Unsere Belegschaft, mehr als 7500 Menschen aus über 70 Nationen, bildet einen Querschnitt der Gesellschaft ab. Das umfasst auch politische Meinungen und Ängste. Es ist wichtig zu sagen, dass jede*r privat seine Haltung haben kann, aber dass wir als Unternehmen einen Standard haben, wie wir miteinander umgehen und wofür wir stehen. Wenn jemand damit nicht einverstanden ist, dann sind wir nicht der richtige Arbeitgeber für diese Person. Aber umgekehrt ist der Arbeitsplatz auch ein Ort, an dem Brücken gebaut werden.“