Zu den Hauptinhalten springen

Science meets Practice

Keine Liebesgeschichte

Der Net Promoter Score in Wissenschaft und Praxis.

11/2020

Der Net Promoter Score (NPS) erfreut sich seit seiner Einführung im Rahmen eines 2003 von Frederick Reichheld verfassten und im „Harvard Business Review“ erschienenen Artikels enormer Beliebtheit. Unzählige Unternehmen wie E.ON, Lufthansa und Siemens nutzen den NPS, um die Loyalität ihrer Kunden zu messen und den zukünftigen Unternehmenserfolg abzuschätzen. Der NPS basiert auf der einfachen Frage „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie [Unternehmen oder Marke] einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen werden?“, die Kunden auf einer Skala von 0 (sehr unwahrscheinlich) bis 10 (sehr wahrscheinlich) beantworten. Kunden, die mit 9 oder 10 antworten, werden als Promotoren bezeichnet, während diejenigen, die mit 0 bis 6 antworten, Detraktoren darstellen. Kunden, die mit 7 oder 8 antworten, gelten als Indifferente. Der NPS ergibt sich dann aus der Differenz in Prozentwerten der Promotoren und Detraktoren.

Zweifelhafte Effekte

Während der NPS in der Marketingpraxis enorm verbreitet und ein zentrales Element vieler Marketing- Dashboards ist, ist das Echo aus der Forschung deutlich zurückhaltender. Ein aktueller Beitrag der kanadischen Forscher Neil Thomas Bendle und Charan K. Bagga sowie Alina Nastasoiu, Data Scientist bei Booking.com, geht der Frage nach, wie es zu solch einer ausgeprägten Divergenz zwischen Marketingwissenschaft und -praxis kommen konnte. Er fasst die Forschung zum NPS zusammen – und kritisiert den Originalartikel von Frederick Reichheld stark, denn: Reichheld nutzt in seinen Analysen die NPSWerte der Jahre 2001 und 2002, um das Umsatzwachstum der Jahre 1999 bis 2002 „vorherzusagen“. Es handelt sich damit um keine Vorhersage, sondern um eine retrospektive Betrachtung, die Zweifel am Titel der Studie („The One Number You Need to Grow“) und an deren grundlegenden Schlussfolgerungen aufkommen lässt.Außerdem kritisieren die Forscher die simple Methodik, die keinen Nachweis über einen kausalen Zusammenhang zwischen NPS und Umsatzentwicklung zulässt. Noch schwerwiegender ist, dass diverse Studien nachweisen, dass der NPS keinerlei oder eine nur sehr beschränkte Prognosekraft für das tatsächliche Kundenabwanderungsverhalten und die Entwicklung künftiger Umsätze sowie Profite hat.

Messtheorie ist auch für die Marketingpraxis relevant

Für Forscher, die sich mit der Messung unbeobachtbarer Phänomene wie Zufriedenheit oder Loyalität auseinandersetzen, sind diese Ergebnisse wenig überraschend. Fragen wie die des NPS sind immer mit einem zufälligen Messfehler verbunden. Dieser Messfehler lässt sich jedoch deutlich reduzieren, wenn man mehrere Fragen zur Messung eines Phänomens verwendet. So wird Kundenloyalität in der Regel über die Zustimmung zu den drei folgenden Aussagen gemessen: „Ich würde [Unternehmen oder Marke] Freunden und Verwandten empfehlen“, „Müsste ich mich noch mal entscheiden, würde ich [Unternehmen oder Marke] erneut wählen“ und „Ich werde auch in Zukunft Kunde von [Unternehmen oder Marke] bleiben“. Im Ergebnis ist die Messung des zu untersuchenden Phänomens deutlich präziser.

Bessere Messungen sind nötig

Die wissenschaftliche Evidenz gegen den NPS ist überwältigend und geht deutlich über den hin und wieder zu beobachtenden (und zu Recht kritisierten) akademischen Fokus auf wenig praxisrelevante Fragestellungen hinaus. Anstatt sich auf eine einzelne Frage zu konzentrieren, deren Beantwortung im schlimmsten Fall falsche Maßnahmen nach sich zieht, sollten Unternehmen Messansätze nutzen, die hohen akademischen Standards standhalten.

Schlüsselbotschaften

  • Der NPS hat eine sehr beschränkte Prognosekraft für die Entwicklung zukünftiger Umsätze und Profite.
  • Konzeptionelle Probleme stellen die Eignung des NPS als zentrales Steuerungsinstrument von Kundenmaßnahmen infrage.
  • Die präzise Messung unbeobachtbarer Phänomene erfordert multiple Fragen

Quelle: Bendle, N. T., Bagga, C. K. & Nastasoiu, A. (2019). Forging a Stronger Academic-Practitioner Partnership – The Case of Net Promoter Score (NPS). Journal of Marketing Theory and Practice, 27 (2), 210–226.